Razzia
Substantiv, f:

Worttrennung:
Raz·zia, Plural 1: Raz·zi·en, Plural 2: Raz·zias
Aussprache:
IPA [ˈʁat͡si̯a]
Bedeutungen:
[1] veraltet: militärischer Streifzug (auf feindlichem Gebiet), begrenzte offensive Militäroperation; unerwarteter Angriff; räuberische Unternehmung
[2] übertragen: zumeist von der Polizei, den Ordnungsbehörden oder von anderen Sicherheitskräften (im großen Stil geplante) unangekündigte, lokal begrenzte Fahndungsaktion nach verdächtigen Personen
Herkunft:
Die Wortgeschichte beginnt mit dem arabischen Wort غَزْو‎ (DMG: ġazw) →ar ‚(zumeist im geringeren Umfang durchgeführter) Einfall, Überfall; Kriegszug; Beutezug, Raubzug‘ und dessen Nomen unitatis غَزْوَة‎ (DMG: ġazwa) →arBeutezug, Raubzug; Kriegszug‘. Ursprünglich bezeichneten diese eine bei den arabischen Beduinen übliche Sitte, die schon in vorislamischer Zeit bezeugt ist und gebietsweise bis in die jüngste Zeit fortbesteht: Zur Wahrung der Existenzgrundlage des eigenen Stammes, die durch das Verenden der Kamele nach winterlichen Dürreperioden oder dem Auftreten einer Viehseuche immer wieder bedroht war, wurden kurze Überfälle unternommen, um von einer anderen Sippe oder einem anderen Stamm Kamele, Nahrungsmittel und anderes zu erbeuten. Solche غَزْوَاﺕ‎ (DMG: ġazwāt) →ar – Plural von غَزْوَة‎ (DMG: ġazwa) →ar – auf benachbarte Sippen und Stämme wurden, soweit sie nicht nachts unternommen wurden und nach bestimmten Regeln abliefen, nicht als ehrenrührig angesehen. Den Moralvorstellungen der Wüste zufolge wurden sie nahezu als sportliche, einem Wettkampf gleiche Unternehmungen betrachtet, die unter möglichster Vermeidung von Blutvergießen durchhaus als ehrenhaft und rühmenswert galten und demgemäß in der arabischen Literatur verherrlicht wurden.
In der von Ibn Isḥāq niedergeschriebenen Biographie des Propheten Muḥammad werden ebenfalls dessen Feldzüge auf der Arabischen Halbinsel als غَزْوَة‎ (DMG: ġazwa) →ar bezeichnet, später nennt man so auch die Expeditionen oder Beutezüge gegen Ungläubige an den Grenzregionen des islamischen Reiches. Zum Beispiel scheint die Schlacht von Tours und Poitiers im Jahre 732, die oft als Verteidigung des Abendlandes dargestellt wird, aus muslimischer Sicht eher den Charakter einer solchen غَزْوَة‎ (DMG: ġazwa) →ar gehabt zu haben.
Derjenige, der an einem غَزْو‎ (DMG: ġazw) →ar beziehungsweise einer غَزْوَة‎ (DMG: ġazwa) →ar teilnahm, in erster Linie jedoch derjenige, der sich dabei verdient gemacht hatte, wurde arabisch غَازِيّ‎ (DMG: ġāzī) →ar genannt. Bereits ab dem 9. Jahrhundert sind in den persischgeprägten östlichen Provinzen des islamischen Reiches und in den Grenzregionen zum Byzantinischen Reich Gruppen bewaffneter Krieger bezeugt, die Überfälle auf Karawanen und Ortschaften ausübten oder lokalen Herrschern als Söldner dienten, und die ebenfalls غِزاﺕ‎ (DMG: ġuzāt) →ar – Plural von غَازِيّ‎ (DMG: ġāzī) →ar – genannt wurden. Türkischstämmige غِزاﺕ‎ (DMG: ġuzāt) →ar , die aus dem Osten einwanderten, waren im 11. und 12. Jahrhundert maßgebend an der Eroberung Anatoliens beteiligt. Später entwickelte sich die Bezeichnung zu einem Ehrentitel und dessen Bedeutung beschränkte sich nun nur noch ausschließlich auf denjenigen, der sich bei solchen Unternehmungen verdient gemacht hatte. In diesem enger gefassten Sinne wurde die Bezeichnung dann Teil des Titels gewisser muslimischer Prinzen, wie zum Beispiel der anatolischen Emire. Wohl deshalb war osmanisch-türkisch ﻏﺎزی‎ (DMG: ġāzī) → ota (türkisch gasi) von Beginn an ein Ehrentitel, den die osmanischen Herrscher trugen (zuletzt übrigens auch Gazi Mustafa Kemal, später Atatürk genannt, der als Begründer der heutigen türkischen Republik gilt).
In der von Luis del Mármol Carvajal niedergeschriebenen »Descripcion general de Affrica« taucht 1573 spanisch Gazia auf. Mittels der Übersetzung dieses spanischen Werkes durch Nicolas Perrot gelangte das Wort 1667 in der Form Gazie ins Französische; in den Belegen werden beide Wortformen nicht ganz korrekt als ‚Krieg gegen die#Artikel|die Christen‘ erklärt. Das spanische sowie das daraus entlehnte französische Wort beruhen auf einer Dialektform غَازِيَة‎ (DMG: ġāzia, ġāziya, ġāzya) →ar aus dem maghrebinischen Arabisch des nördlichen Afrikas, die dem hochsprachlich arabischen غَزْوَة‎ (DMG: ġazwa) →ar entspricht. Ab 1830, bei der Eroberung Algeriens, lernten die Franzosen die Raubzüge der Wüstenstämme dann genauer kennen und gaben sie mit razia (1836) und razzia (1840) wieder (mit /r-/ statt /g-/, weil das französische /r/ inzwischen nicht mehr mit der Zungenspitze [r], sondern im hinteren Gaumen [ʁ, ʁ] artikuliert wurde und daher einigermaßen dem Lautwert von arabisch ﻍ‎‎ (DMG: /ġ-/ {{Lautschrift)  entsprach). Auch beschrieb das französische Wort bereits die politisch motivierten Beutezüge der algerischen Machthaber gegen deren Feinde beziehungsweise gegen abtrünnige oder widerspenstige Stämme, um diese durch Vernichtung ihrer Wehrplätze oder Plündern ihrer Herden zu schädigen. Wenig später dann wurde die Bedeutung auf Aktionen französischer Truppen gegen die algerischen Araber übertragen. Bereits 1841 erscheint in dem Buch »Les Prisons de Paris« von Pierre Joigneaux französisch razzia'' jedoch auch in einer übertragenen, auf Pariser Verhältnisse bezogenen Bedeutung als „main-basse sur tous les hommes dangereux de la prison“, was sich mit ‚Festnehmen oder#oder (Deutsch)|oder Festhalten der#Artikel|der gefährlichen Männer im#im (Deutsch)|im Gefängnis‘ übersetzen lässt. Der französische Ausdruck wird schließlich Mitte des 19. Jahrhunderts ins Deutsche übernommen, zunächst bezogen auf arabische Verhältnisse beziehungsweise auf Aktionen französischer Truppen in Algerien zu Beginn der Kolonialherrschaft, danach, ab der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts, auch in dem im Französischen entstandenen übertragenen Sinne: In der Bedeutung ‚Ausschalten (kritischer Geister in#in (Deutsch)|in Frankreich)‘ ist neuhochdeutsch »Razzia« ab 1857 und als ‚Fahndungs- oder#oder (Deutsch)|oder Festnahmeaktion die#Artikel|der Polizei‘ und so weiter ab 1870 (siehe zweiten Beispielsatz für Bedeutung [2]) im deutschen Sprachgebrauch bezeugt.
Synonyme:
[2] umgangssprachlich: Fischzug, Netzfang
Beispiele:
[1] „80 Gefangene, 2000 Stück Vieh und eine reiche Beute an Kleidungsstücken und Geschmeiden, waren die materiellen Erfolge dieses Tages — der moralische Effect, den eine so wohlausgeführte Razzia bei den Arabern hervorbringen mußte, die nur allzu gewohnt waren uns immer der Nase nach marschiren zu sehen, war ungemein groß, und der Bericht der am 3. und 5. Mai dem Emir zugefügten Schlappen verbreitete sich schnell über’s ganze Land.“
[1] „Die Schicksale des schmalkaldischen und dreißigjährigen Krieges, die baierischen Razzia’s gegen die alte Reichsstadt haben das Geld zum großen Theile aus Ulm fortgeführt[…]“
[1] „Razzia, Jagd und Krieg sind die drei großen Akte der Nomaden und auch des militärischen Lebens in Afrika. Das häufigste und fast tägliche Ereigniß dieses Lebens ist die Razzia. […]Das dreifache Bedürfniß der Rache, des Ruhmes und der Beute kann zu seiner Befriedigung kein rascheres und zweckmäßigeres Mittel finden, als die Razzia, ein Ueberfall des vom Feinde besetzten Ortes, des Aufbewahrungsplatzes alles dessen, was ihm theuer ist, Familie und Habe, durch Gewalt und List. Die Araber unterscheiden drei Arten von Razzia[…].“
[1] „Noch desselben Abends beklagte sich mein Gastwirth, daß er durch mich fälschlich in den Verdacht gekommen sei, um die ‚Razzia‘ nach Baden-Baden gewußt und doch die dort befindlichen Offiziere nicht gewarnt zu haben.“
[1] „Der Offizier kam diesem Auftrage pflichtschuldigst nach, er brachte ein halbes Dutzend Blauröcke, die eben auf einer Razzia begriffen waren, in Numero Sicher und ließ es sofort dem bayerischen Hauptmann im Nebenfort, von dessen Compagnie die Arretirten waren, melden.“
[1] „Er ließ ihnen vermittelst einer Razzia ihre Töchter wegnehmen, behielt dieselben eine Zeitlang in seinem Harem und schickte sie zuletzt wieder heim zu ihren Vätern.“
[2] Bei der Razzia in den Lagerräumen einer Spedition wurden 10.000 illegale Kopien von Musik-CDs gefunden.
[2] „Dumpfbrütend, stumpfsinnig fast rennt er obdachlos Tag und Nacht durch die Straßen ; bald schläft er im Thiergarten, bald, wenn er eine Razzia fürchtet, in einem Bahnhofs-Güterschuppen.“
[2] „Und eine Razzia würde erfolgen, bei der man ein Dutzend Refugiés schnappen würde.“
[2] „Der Preußische Minister des Innern empfahl bereits in einem Erlaß vom 31. Dezember 1878 den Polizeibehörden regelmäßige Streifzüge (Razzias) zur Bekämpfung des Vagabundentums.“
[2] „Vor den Razzias der Nazis sucht die Familie schließlich in einem miesen Hinterhof-Zimmer Zuflucht, mit Blick auf ein winziges Stück Himmel.“
[2] „Die Vereinigung kroatischer Journalisten wendet sich mit einem Hilferuf an die Weltöffentlichkeit, um auf die Razzia in den Redaktionen aufmerksam zu machen.“
[2] „Und sie haben Angst, nicht nur vor den Razzien der Polizei, sondern auch vor den mafiösen Zirkeln, die das Lager unter Kontrolle halten.“
[2] „Die israelische Armee hat eine Razzia im Westjordanland abgesagt - einer ihrer Soldaten hatte die Geheimaktion im Internet-Sozialnetzwerk Facebook angekündigt.“
[2] „Am Dienstag schwärmten sieben Staatsanwälte und mehr als 100 Polizeibeamte aus: Razzia in 31 Büros und Privatwohnungen, überwiegend in Bayern und der Tschechischen Republik.“
[2] „Syriens Präsident Assad kämpft um den Machterhalt: Die Geheimpolizei hat Bürgerrechtlern zufolge bei nächtlichen Razzien zahlreiche Aktivisten festgenommen.“
Übersetzungen:


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